REITERJOURNAL-EXTRA 2017 - Donnerstag

Seite 36 Rei ter journal -Ext ra Donnerstag, 16. November 2017 drangegangen bin – ich denke im Nachhin- ein, dass es das war. Ich bin vielleicht nicht mit der letzten Konzentration geritten und hatte deswegen den Vorbeiläufer. In Pau war das eine ganz andere Geschichte. Direkt vor der Dressur konnte ich nicht richtig ein- schätzen, was los war – und dann habe ich gedacht, dass wir halt eine Woche Urlaub machen. Vielleicht hätte Sam ganz normal gehen können, denn am nächsten Tag war er wieder ganz der Alte. Aber ich habe jetzt mit Sam die Freiheit, von Tag zu Tag zu entschei- den, es ganz „just for fun“ angehen zu lassen. Aber denken Sie sich nach so einer Saison „Hätten wir ihn mal besser nach Rio in den Ruhestand verabschiedet?`“ … Michael Jung: Nein! Er hat noch so viel Spaß an allem, gerade im Gelände. Das ist ein biss- chen wie bei Menschen. Manche können früh in Rente gehen und sind damit glück- lich, andere sind dann total unzufrieden. Und Sam hat einfach noch so viel Freude da- ran. Warum soll ich ihm das nehmen? Das heißt, bislang ist kein Abschied in Sicht? Michael Jung: Nicht wirklich, aber schauen wir mal, wie er aus dem langen kalten Win- ter, der ja jetzt schon anfängt, ins Frühjahr kommt. Mit diesem Pferd sehe ich das ein- fach sehr entspannt mittlerweile. Michael Jung, Sie hatten eine Weile im Plan, nur noch Springen zu reiten. Warum geht’s jetzt doch im Busch weiter? Michael Jung: Ich habe das mal mit einem Fragezeichen versehen. Ich will schon sehen, wie weit es im Springen geht. Aber das Ge- lände möchte ich so schnell nicht aufgeben. Vor allem die Arbeit mit den jungen Pferden im Gelände macht mir unglaublich Spaß. Jetzt sitzen wir hier ja in der Konstellation Vater-Sohn … Wie harmonisch läuft es Zu- hause ab? So ein enges Verhältnis ist ja viel- leicht nicht immer ganz einfach … Michael Jung: Ziemlich gut. Joachim Jung: Du kannst schon die Wahr- heit sagen (schmunzelt). Ich bin dann ja da- nach dran (grinst). Michael Jung: Er war schon sehr streng. Joachim Jung: Das ist aber schon lange her! Michael Jung: Wenn es ums Reiten ging, war er sehr konsequent, aber das kommt auch ein bisschen vom Opa, glaube ich. Joachim Jung: Ich kenne schon zig Familien, wo es nicht läuft. Und wir sind unheimlich dankbar, wie es so gelaufen ist. Da schließe ich auch Michis Mutter und seinen Bruder Philipp ein. Dazu kommt, dass ich selbst auch den richtigen Moment gefunden habe, um aufzuhören, als ich merkte, dass ich es nicht so gut kann wie Michi. Bei großen Entscheidungen: Wer hat eigent- lich bei Ihnen das letzte Wort? Michael Jung: Das hat sich eigentlich ein bisschen geändert. Grundsätzlich hat er mir aber nie vorgeschrieben, wenn ich mal was anders machen wollte als er. Da hatte ich früh ganz klar meine Freiheiten. Und welche Rolle spielt eigentlich die Mut- ter? Sie ist ja auch immer mit dabei … Michael Jung: Sie rundet es ab. Sie hat sich um uns Kinder immer gekümmert und den Spaß am Reiten vermittelt – was ja ganz wichtig ist. Da haben wir Cowboy und India- ner gespielt und ähnliches. Joachim Jung, Ihr Sohn scheint ja ein absolu- tes Multi-Talent zu sein. Sagen Sie mal: Gibt es auch was, was er nicht kann? Joachim Jung: Das sage ich bestimmt nicht, aber reiterlich hat er keine Schwächen. Er ist ja in allen Disziplinen bis ganz oben geritten, in der Dressur bis Grand Prix, im Springen bis Grand Prix … und irgendwann merkte man, dass man, wenn man alles auf diesem Niveau machen will, etwas vernachlässigt wird. Deswegen hat er dann die Dressur et- was zurückgedrängt. Joachim Jung: Wie beschreiben Sie denn in Kürze Ihren Sohn Michi? Joachim Jung: Er ist fleißig. Und – das ist jetzt schwierig, in richtige Worte zu packen, aber im Gegensatz zu meinen Zeiten, macht er sich viel mehr Gedanken, zu den Pferden gut zu sein. Was ich meine: Bei uns wurde der Stil oftmals vernachlässigt, wenn es da- rum ging, zu gewinnen, während Michi im Springen auch immer unglaublich schön rei- ten will – das hat er von Marcus Ehning übernommen. Und in heutigen Zeiten, wo jeder mit dem Handy Fotos und Videos macht, ist man ja sensibilisiert und Michi ist das extrem. Er setzt diese guten Umgangs- formen auch 100-prozentig bei uns zu Hause im ganz alltäglichen Training um. Michael Jung: Und was zeichnet Ihren Vater , Trainer und Wegbereiter aus? Michael Jung: Seine unglaubliche Erfah- rung, die er in allen drei Disziplinen hat. Dass er in allen Disziplinen Pferde ausgebil- det hat. Seine Disziplin und besonders auch sein unendliches Durchhaltevermögen. Wenn Sie Ihren Vater als Trainer nicht ge- habt hätten? Wo würden Sie dann jetzt in Ihrer Karriere stehen? Was denken Sie? Michael Jung: Schwer zu vergleichen, aber ich finde es toll, wie wir es gemacht haben. Es war ihm unglaublich wichtig, dass ich nichts Falsches lerne. Es ist ja viel schwieri- ger, was Falsches wieder rauszukriegen. Joachim Jung: Was glauben Sie, wo würde Michi dann zu diesem Zeitpunkt stehen? Joachim Jung: Letztlich ist alles zufällig und irgendwie haben wir immer ein glückliches Händchen gehabt, die richtigen Entschei- dungen zu treffen – trotz vieler gut gemein- ter Ratschläge von außen. Aber wo er wirk- lich stehen würde? Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, welchen Weg er gegangen wäre. Das Gespräch führten Florian Adam und Monika Schaaf. Foto: TOMsPic

RkJQdWJsaXNoZXIy NDAzMjI=