REITERJOURNAL-EXTRA 2017 - Sonntag

Seite 22 Rei ter journal -Ext ra Sonntag, 19. November 2017 E s gibt Menschen, die werden groß, reif und älter – sie bleiben trotzdem „der Kleine“. Als Markus Beerbaum vor einer Woche in München die Gesamtwertung der Riders Tour gewann und sich seither für ein Jahr „Rider of the Year“ nennen darf, kram- ten die Medien erst einmal in der Statistik. Es sei sein erster Sieg dieser Art in 25 Jahren Laufbahn, hieß es sofort – sein Bruder Lud- ger, der Ältere, habe diese Tour hingegen schon fünf Mal gewonnen. Markus Beerbaum, der Jüngere, kann mit diesen ständigen Vergleichen mittlerweile gut leben. „Das macht mir immer weniger aus“, erklärt er. Schließlich habe er seinen eigenen Weg im Pferdesport gesucht und gefunden. „Ich brauche Ludger nicht zu ko- pieren“, sagt er selbstbewusst. „Wir verste- hen uns gut, aber jeder hat im Reitsport seine eigenen Schwerpunkte.“ Aber ob es Zufall ist? Just in der Phase, in der Ludger Beerbaum (54) allmählich sport- lich kürzer tritt und Championatsteilnahmen eine Absage erteilt hat, erblüht Markus Beer- baum mit 47 Jahren zum zweiten Frühling im Sattel. Diesen Geburtstag feierte er übri- gens am Donnerstag hier in Stuttgart; seine Frau Meredith Michaels-Beerbaum und seine Tochter Brianne (7) sind zu Hause ge- blieben. Das Mädchen und die Mama gratu- lierten dem Geburtstagskind am Telefon. Aber sie waren trotzdem froh, mal ein Wo- chenende zu Hause in Thedinghausen zu sein; das kommt nämlich selten genug vor. Markus Beerbaums Sieg in München war al- les andere als ein Zufall. Es läuft schon das ganze Jahr gut bei ihm. So gut, dass er hier in Stuttgart – wegen besserer Chancen – mit seiner eigentlich erfolgsverwöhnteren Ehe- frau die Startplätze getauscht hat. Er hat zum Beispiel die Großen Preise von Münster und Isernhagen gewonnen. Seit die neunjäh- rige Hannoveraner Stute Charmed im gro- ßen Sport angekommen ist, kommt der „kleine“ Beerbaum wieder groß raus. Das überrascht den erfahrenen Springreiter gar nicht. „Ich wusste, das wird mein Pferd“, strahlt er stolz. Er hat die quirlige Tochter des Chacco-Blue auf der Verdener Auktion gekauft, aber schon eine Weile vorher ent- deckt. Ihm gefielen Kampfgeist. Ehrgeiz und die frische Vorwärtsgaloppade der Stute gleich, ebenso die vorsichtige Art zu sprin- gen. Er war sich so sicher, dass er sie gar nicht ausprobieren musste. Sorgfältig bildete er Charmed zum Spitzen- pferd aus. Heute sieht er sich bestätigt: „Sie ist ein Fünf-Sterne-Pferd geworden.“ Ob die Stute letztendlich auch das Zeug zum Cham- pionatspferd habe, müsse sich erweisen. Charmed gehört übrigens Markus Beerbaum selbst; nur er entscheidet, ob er sie für wei- tere Aufgaben behält. Im Moment sei ein Verkauf aber kein Thema. Es läuft ja gerade so gut. Er will das ausnutzen. Bald werden im Hause Beerbaum wieder die Koffer gepackt, denn die Familie überwintert seit einigen Jahren in Florida auf der Arte- mis-Farm ihrer Freunde und Gönner Jim und Kristy Clark. Dort verbringen sie die Jahres- zeit, die in Niedersachsen so garstig sein kann. Die besten Pferde ziehen dann mit auf die Sonnenseite der Staaten. Der Florida- Winter ist stets eine Heimkehr für Meredith, die Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland kam. In dieser Zeit kann sich Markus Beer- baum aber auch besonders gut um seine amerikanischen Schülerinnen und Schüler kümmern. Bei den Olympischen Spielen in Rio hat er zum Beispiel Lucy Davis betreut, hier in Stuttgart ist es Chloe Reid, die von ihm gecoacht wird. Im Sommer, wenn es in Florida heiß und in Thedinghausen erträg- lich ist, stehen Reids Pferde in Deutschland, und die junge Damen fährt mit den Beer- baums auf Turniere. Mit 47 Jahren und mitten im zweiten Früh- ling hat Markus Beerbaum noch Wünsche, Ziele und Visionen – aber auch eine realisti- sche Einschätzung. Sein Wunsch: Gemein- sam mit seiner Frau bei einem Championat anzutreten, das haben sie noch nie geschafft. Markus Beerbaum ist 1997 und 1998 Welt- und Europameisterschaften geritten; da hatte seine spätere Frau noch nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber er weiß auch: „Das ist so anspruchsvoll, da muss viel Positives zusammenkommen.“ Im Moment denkt der „Rider of the Year“, der hier in Stuttgart 1993 als erster Deutscher den Großen Preis am Sonntag gewinnen konnte, von Turnier zu Turnier. Und natür- lich denkt er auch an den warmen Winter von Florida. Roland Kern Der „Rider of the Year“ Markus Beerbaum setzt zum zweiten Frühling an – mit seiner Stute Charmed hat er große Pläne. Markus Beerbaum und seine amerikanische Schülerin Chloe Reid Foto: TOMsPic

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