Seite 6 Rei ter journal -Ext ra Sonntag, 19. November 2023 Die Geschichte reitet mit Matthias Alexander Rath ist acht Jahre nach Totilas auf dem Höhepunkt seiner Karriere – er hat gelernt und ist gereift. ders für die schaumwütende Schar der Blogger in den Sozialen Netzwerken: Reicher Sohn bekommt das teuerste Pferd der Welt gekauft und bricht dem smarten Niederländer das Herz. Die ganze Ungerechtigkeit der Dressurszene wurde damals auf Matthias Rath übertragen. Der blonde Junge wurde zum bösen Buben. Rathlos im Sattel. Vater und Sohn Rath blicken heute nachdenklich, wenn sie sich an diese Zeit erinnern, die auch noch übel endete, nämlich mit einem lahmen Totilas bei den Europameisterschaften 2015 in Aachen. Die aggressive Debatte um Tierschutz im Dressursport, sie wurde damals angeheizt. „Wir haben damals Fehler gemacht, die wir heute nicht mehr machen würden“, sagt er. Es klingt ehrlich. Im Kampfgeist seinem Vater Totilas sehr ähnlich: Der Hengst Thiago im Stuttgarter Viereck. ihm später) und mit Großmutters Nadel seinen Anteil an der deutschen Silbermedaille. Auch hier in der Schleyer-Halle sattelt der studierte Betriebswirt den Sohn des berühmten Totilas (auch zu ihm später mehr) und der Rappstute Wahajama, seinem ersten Lehrpferd am Stall der neuen Familie. Im Hengststall steht noch der Fuchshengst Destacado, der gerade pausiert. Beide Pferde seien für Olympia 2024 bereit, betonen Rath und sein Vater, der schon immer sein Trainer ist. Pferdewirtschaftsmeister Klaus-Martin Rath stammt aus Schleswig-Holstein, war früher ein begnadeter Dressurreiter, oft an der Seite Herbert Rehbeins, und später erfolgreicher Trainer; auch jener der jungen Olympiareiterin Ann-Kathrin Linsenhoff aus gutem Hause. So nahm beider Leben ihren Lauf. Vater Rath erzählt gerne davon, dass sein Sprössling schon mit drei Jahren auf der Tribüne saß, um ihn und Herbert Rehbein beim Training zu beobachten. „Wie versteinert saß er da, so faszinierte ihn das“, schmunzelt er. Thiago sei sowohl seinem Vater als auch seiner Mutter charakterlich sehr ähnlich. „Er kommt ins Viereck und will sich präsentieren“, beschreibt sein Reiter und Ausbilder, „manchmal auch übertrieben“. Wie Totilas damals. Gestern im Grand Prix der Klassischen Tour war der Hengst sogar zu ehrgeizig, und verlangte seinem Reiter einigen Aufwand ab. Die Totilas-Geschichte wird Rath nicht mehr los, sie ist wie ein Spalt im Huf, wie eine Galle am Sprunggelenk. 2010 kauften Ann-Kathrin Linsenhoff und Paul Schockemöhle den schwarzen Hengst, der unter dem schicken Niederländer Edward Gal zum Mythos geworden war und mit zweitem Namen „Wunderhengst“ hieß. Der Stoff war hochgradig toxisch, besonDer Raum ist nicht groß, eher klein wie eine Besenkammer. Aber er ist randvoll mit Dressursportgeschichte. Da liegt der Frack, den Liselott Linsenhoff 1972 bei den Olympischen Spielen in München trug, als sie im Sattel des Schwedenhengstes Piaff als erste Frau im Sport eine Goldmedaille holte. Die zerknitterten Handschuhe daneben, die Sporen, die Gerte. Den Sattel, den der Fuchs trug, würde man heute wohl keinem Schulpferd zumuten. Die Amazone saß darin wie angegossen. In einer Kiste alte Aufgabenbücher und Protokolle. Wer den kleinen Raum betritt und Dressursportfan ist, der verspürt den Drang, eine Kerze anzuzünden. Das Zimmerchen, mehr eine Nische, ist Teil eines kleinen aber geschichtsträchtigen Museums im Vorraum der Reithalle auf dem Schafhof der Familie Linsenhoff in Kronberg vor den Toren Frankfurts. Es ist das „Oma-Zimmer“, ganz der Olympiasiegerin gewidmet, die 1999 im Alter von 72 Jahren gestorben ist. Sie hat ihren Enkel, der genau genommen der Stiefsohn ihrer Tochter Ann-Kathrin ist, nie kennengelernt. Aber die beiden haben eine Verbindung, die nicht viel breiter als eine Haarnadel ist, aber aus purem Gold mit einem filigranen Pferdchen und einem Kleeblatt verziert, das Glück bringt. Es ist die Plastronnadel, die für ihre ersten Weltmeisterschaften 1956 in Stockholm angefertigt wurde. Ann-Kathrin Linsenhoff, die 1988 in Seoul selbst mit dem deutschen Team olympisches Gold gewann, wusste, ihre Mutter würde zustimmen, als sie ihrem Stiefsohn Matthias genau diese Original-Nadel zum 39. Geburtstag schenkte. „Das war ein besonderer Moment für uns beide“, erinnert er sich und schluckt vor Rührung. Eine Geste, die wohl auch heißen sollte: Jetzt ist auch er, der vor 22 Jahren mit seinem Vater Klaus-Martin Rath auf den mondänen Schafhof zog, ein Teil dieser Geschichte einer großen Reiterfamilie – der vielleicht wichtigsten in der Republik. Das Familienwappen zeigt ein Pferd, auf dem Dach der Schafhof-Villa ist sogar der Wetterhahn ein Ross. In Riesenbeck bei der Dressur-Europameisterschaft im Sommer hatte Rath im Sattel seines zehnjährigen Rapphengstes Thiago (zu Foto: Lafrentz
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