Seite 38 Rei ter journal -Ext ra Samstag, 16. November 2024 Timo Kemmerer, Dressurreiter, Pferdezüchter, amtierender Landesmeister in Baden-Württemberg, ist von Beruf Versicherungskaufmann. Das merkt man. Er geht gerne auf Nummer sicher, überlässt lieber nichts dem Zufall. Als vor wenigen Wochen feststand, dass sein Traum in Erfüllung gehen wird, ein Start in der Großen Tour in Stuttgart, da analysierte er seine Schwächen. Das sind die Nerven. Er recherchierte und fand im Raum Karlsruhe, wo er mit seiner Familie lebt, einen Psychotherapeuten und Mentalcoach. Bei dem ersehnten Start sollte die Aufregung keine Rolle spielen; er suchte sich Hilfe und bekam Tipps für Konzentration und Fokussierung. Wenn der 40-jährige Familienvater am Samstagmorgen um 8 Uhr als erster Starter in die Schleyer-Halle reitet, atmet er erst einmal tief durch – wie er es gelernt hat. Ohhm. In die Wiege gelegt Dressur-Landesmeister Timo Kemmerer war schon bei der Geburt seines Dantes Zazou dabei – als Lokalmatador startet er erstmals in der Großen Tour. Was ihn beruhigt: Er kennt seinen Wallach Dantes Zazou besser als seine Westentasche. Er hat schon dessen Mutter geritten, den Vater ausgesucht. Er saß in der Box, als Dante auf die Welt kam und leistete Geburtshilfe. Er war der erste, den Dante auf seinen Rücken ließ. Er ritt ihn als erster in ein Dressurviereck, brachte ihm die Piaffetritte bei, siegte im Grand Prix – und steuert ihn nun in die Schleyer-Halle. Er hat es ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt. Ein Traum geht in Erfüllung, der auch im Dezember anhalten soll: denn der Badener hat sein Nachwuchspferd auch für das Finale des Louisdor-Preises qualifiziert, das demnächst in Frankfurt ausgetragen wird. Die Kemmerers sind eine Reiter- und Pferdefamilie. Schon immer gewesen. Die Pferde stehen in einem Stall hinterm Wohn- und Bürogebäude. Timo Kemmerers Opa hielt dort schon Pferde und Vieh. Es ist nicht schick und elegant wie in vielen anderen Dressurställen auf diesem Niveau, rechts und links in der Nachbarschaft stehen Freizeitpferde in zusammengezimmerten Bretterverschlägen, eine Halle gibt es nicht. Aber jede Menge Koppeln und einen Allwetterplatz hinterm Stall. Das ist die Trainingszentrale des Landesmeisters. Füttern, Misten, im Sommer Heu und Stroh ernten, das machen sie alles selbst. Wenn Timo reitet, ist seine Frau Ayleen die Pflegerin. Wenn sie startet, wickelt er die Bandagen ab. „Unser Pensum kann nur als Familienprojekt gelingen, bei dem alle mithelfen“, erklärt der Stallchef. Die Mini-Shettys der Kinder Mathilda (7) und Paul (5) haben einen eigenen kleinen Stall. Mutter Irene und Vater Klaus helfen im Stall. Turnierpferde haben Timo, Ayleen und Irene Kemmerer unterm Sattel. Ayleen Kemmerer (38) ist ebenfalls S-Siegerin bis zum Zwei-Sterne-Niveau und Trägerin des Goldenen Reitabzeichens. Auf Mutters Turnierpferden Rio und Goldstern lernte Timo als Bub das Reiten, erfolgreich bis zum nordbadischen Regionalkader. Für weiter nach oben reichte die Pferdequalität nicht ganz aus. Das hat sich geändert, seit Timo Kemmerer seine Pferde selbst züchtet. Dantes Zazou stammt von der heute 19-jährige Florencio I-Tochter Florence ab. Der Sohn des Dante Weltino war gleich ein Bewegungskünstler, übrigens von Anfang an. Ein Naturtalent, das Kemmerer sogar ohne Gerte und Sporen durch einen Grand Prix reiten kann. Seit einiger Zeit wird er von Oliver Luze trainiert, ist aber auch ein Anhänger der Ausbildungsmethode des Spaniers Manolo Rodriguez und seiner baden-württembergischen Schülerin Karin Hess-Müller. Er selbst arbeitet seine Pferde auch vom Boden aus, bringt spielerisch schon den Remonten erste Piaffe-Tritte bei. „Dabei bekommt man einen anderen Blick fürs Pferd“, beschreibt er. Von Zeit zu Zeit werden auch Kemmerer-Pferde verkauft, um die vielen Ausgaben, die nötig sind, zu finanzieren. Auch Dante? „Es gibt Summen, da kann man nicht nein sagen“, gibt er zu. Was ihn beruhigt: Er züchtet die nachwachsenden Rohstoffe ja selbst. Roland Kern Dreamteam am Viereck: Ayleen und Timo Kemmerer Foto: TOMsPic
RkJQdWJsaXNoZXIy NDAzMjI=