Sonntag, 17. November 2024 Rei ter journal -Ext ra Seite 11 sein, ihr den Führstrick aus der Hand gerissen haben, in Richtung Stall gerannt sein. Er hat ausgetreten und sie im Gesicht getroffen. Mehr weiß kein Mensch. Denn Christa Jung hat eine Gedächtnislücke. Sie erinnert sich erst wieder daran, wie sie blutüberströmt zu sich kam. Überall Blut. Da galoppierte das Pferd schon in Richtung Stall, selbst erschrocken. Alles andere muss man sich zusammenreimen. Dafür erinnert sie sich an das, was folgte, ganz genau. Der Rettungswagen, von ihrem Mann alarmiert, kam innerhalb weniger Minuten. Nach der ersten Untersuchung im Heilbronner Krankenhaus war klar, dass Spezialisten an den Fall heranmussten. Man überwies sie in die Heidelberger Kopfklinik, dort wurde sie von Chefarzt Prof. Dr. Jürgen Hoffmann operiert. „Das war mein großes Glück“, beschreibt sie heute. Das Nasenbein und beide Jochbeine waren gebrochen. Seither trägt Christa Jung etliche Platten und Nägel zwischen Haut und Knochen. Drei Wochen lag sie in der Klinik, später nochmal eine Woche. Immer noch muss sie regelmäßig in die Klinik, ist nicht ganz beschwerdefrei. Es war ein Schock für die ganze Reiterwelt, als es vor einem Jahr hieß: Christa Jung schwer verunglückt. Das Turnier ist ohne die Parcourschefin aus dem schwäbischen Bad Friedrichshall eigentlich nicht denkbar. Und doch musste es gehen. Der Holländer Louis Konickx und ihr Kollege Ralf Hollenbach, der aus Heidelberg stammt, vertraten sie würdig. Sie hat sich eben zurückgekämpft. „Ich hab‘ was durchgemacht“, erklärt sie kurz. Mehr will sie gar nicht sagen. Nur nicht jammern. Lange konnte sie nur flüssige Nahrung zu sich nehmen, musste ein weiteres Mal operiert werden. Aber der Sport hat sie gerufen. „Schon an Weihnachten habe ich der Familie erklärt, am Mannheimer Maimarkt werde ich wieder aufbauen.“ Das hat sie geschafft – und dann gleich wieder das volle Pensum: ein Dutzend Turniere im Land und jetzt wieder die Schleyer-Halle. Und wie gut! „Besser denn je“, bescheinigte am Freitagabend Turnierleiter Andreas Krieg nach einem perfekt inszenierten German Master. Im Parcours spürt Christa Jung sowieso keine Schmerzen, da ist sie stets fokussiert. Und auch nach fast 50 Jahren im Geschäft, zwei Europameisterschaften, etlichen Nationenpreisen, vielen wichtigen Großen Preisen rund 10000 gebauter Springbahnen, ist sie immer wieder ein bisschen aufgeregt, bis der erste Reiter den Parcours bewältigt hat und es die erste Nullrunde gegeben hat. Ihr Mann Karl-Georg ist ihr Berater, bester Kollege und der ruhende Pol – und immer an ihrer Seite. Dabei haben Oma und Opa Jung aber auch noch andere Aufgaben. Das sind die Enkelkinder Neil (13), seine Schwester Lou (11), Phil (9) und die kleine Fleur. Weil deren Mutter Steffi nicht nur ebenfalls Parcourschefin bis zur höchsten Klasse ist, sondern auch selbstständige freie Architektin in Vollzeit, findet das Familienleben weitgehend bei ihnen statt. Karl-Georg ist der Chauffeur zwischen Schule, Zuhause und den Sportvereinen am Nachmittag, Christa die Köchin und – sogar professionell – die Hausaufgabenbetreuung. Wie gut, dass sie wieder da ist. Für alle. Roland Kern
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